Psychomotorische Abklärung
Zur Beurteilung, ob eine Therapie für ihr Kind angezeigt ist, kann eine psychomotorische Abklärung Aufschluss bringen. Die Abklärung soll Auskunft darüber geben, wie die Wahrnehmung, die Motorik, die sozial-emotionale Entwicklung und die Kognition ihres Kindes zusammenspielen.
Im Austausch mit den Eltern und beteiligten Fachpersonen werden die Stärken und Schwierigkeiten des Kindes besprochen. Gemeinsam wird entschieden, ob eine Psychomotoriktherapie oder eine andere Massnahme angezeigt ist, um das Kind in seiner weiteren Entwicklung zu unterstützen.
Was beobachtet die Therapeut*in bei der Abklärung?
Für eine Abklärung sind zwei bis fünf Stunden nötig, an denen in der Regel auch die Eltern teilnehmen. Die Therapeut*in stellt dem Kind oder Jugendlichen verschiedene motorische und sensorische Aufgaben.
Körperhaltung und manuelles Geschick, Art und Weise der Bewegung
Wie koordiniert das Kind seine Bewegungen? Hat es ein gutes Gleichgewichtsgefühl? Kann es seine Kräfte dosieren? Kann es bspw. im Ballspiel die Bewegungen der Hände mit dem Blick koordinieren?
Louis (9 Jahre) hat Mühe an den unterschiedlichen Anforderungen im Sportunterricht teilzunehmen. Er stolpert oft beim Laufen; er hat Schwierigkeiten Bälle zu fangen und zu werfen und er hat Angst vor der Höhe, da er ein unsicheres Gleichgewicht zeigt.
Grafomotorik
Wie sitzt das Kind am Tisch? Kann es den Arm auf der Tischplatte ablegen oder hebt es ihn an? Wie hält es den Stift? Wie ist die Strichführung beim Schreiben? Wie sind die Kraftdosierung und die Atmung beim Schreiben oder Zeichen? Wie orientiert sich das Kind auf dem Papier? Kann das Kind flüssig schreiben?
Rosa (6 Jahre) zeichnet und schreibt nicht gerne, weil es sie sehr anstrengt. Sie hat Schwierigkeiten, einen Stift mit wenig Kraftaufwand zu halten. Für ihre Zeichnungen drückt sie fest und braucht damit zuviel Energie. Das Ausmalen erschöpft sie und sie kann die Begrenzungslinien nicht einhalten. So erfährt sie kaum Lob.
Körperwahrnehmung, Körperbild und Entwicklung der Seitigkeit
Kennt das Kind seinen eigenen Körper und den anderer Personen? Kann es Körperteile benennen und zeigen? Setzt es eher die rechte oder die linke Hand ein? Wie hantiert es mit unterschiedlichen Gegenständen?
Cinzia (7 Jahre) sitzt auf dem Schaukelbrett zu weit vorne, so dass sie immer wieder herunter rutscht. Zudem umfasst sie mit den Armen die Seile nicht, so dass sie sich nicht gut festhalten kann. Auch fühlt sie nicht, wie sie ihre Beine im Rhythmus der Schaukel nach vorne und zurück bewegen muss, damit sie mehr Schwung erhält. Selbstständiges Schaukeln ist daher für Cinzia noch nicht möglich.
Sinneswahrnehmung
Wie reagiert das Kind auf Sinnesreize: Töne, Klänge, visuelle Reize oder Berührungen? Wie gut kann es seinen Körper wahrnehmen?
Emilia (13 Jahre) stolpert oder stösst sich oft an. Sie hat häufig Verletzungen wie Schürfungen etc. Emilia kann ihre Körpergrenze und ihren Körper schlecht wahrnehmen. Nachdem sie sich einmal den Knöchel verstaucht hatte, blieb die Verletzung vier Tage lang unbehandelt, weil Emilia den Schmerz nicht spürte.
Räumliche und zeitliche Orientierung
Kann sich das Kind räumlich orientieren und den Weg zurück finden? Hat es eine Vorstellung von der Zeit? Kann es problemlos von einer Aktivität auf eine andere «umschalten»?
Nach der Pause läuft Reto (7 Jahre) hin und her, anstatt – wie seine Kameraden – die Jacke auszuziehen und in den Klassenraum zu gehen.
Verbale und nonverbale Kommunikation, Beziehung zu anderen und Gefühlsregulation
Wie verhält sich das Kind im Kontakt zu anderen Menschen? Wirkt es aggressiv oder impulsiv? Zeigt es sich eher ängstlich oder extrem schüchtern? Wie reif ist das Kind? Fühlt es sich im Kontakt zu anderen wohl?
Nadia (10 Jahre) ist ein sensibles und eher ängstliches Mädchen. Während der Abklärung möchte sie nichts spielen sondern wartet schweigend auf der Bank, bis die Therapeutin sie zu einer neuen Übung auffordert. Nadias nonverbaler Ausdruck wirkt gehemmt und unsicher.
Eigenständigkeit
Kann das Kind alltägliche Handlungsabläufe eigenständig ausführen (Kleider und Schuhe anziehen, essen usw.)? Findet das Kind selbstständig Lösungen oder sucht es sich rasch Hilfe von anderen Kindern oder Erwachsenen?
Lewin (8 Jahre) möchte gerne mit den Schaumstoffklötzen einen Turm bauen. Er legt zwei Klötze aufeinander. Um den dritten Klotz darauf zu legen, fehlt ihm die Kraft und die Grösse. Da er selbst keine Lösung findet, um ans Ziel zu gelangen, schaut er fragend zur Therapeutin. Diese zeigt auf den Hocker, der neben ihm steht. Lewin schaut den Hocker an, versteht aber nicht, dass dieser ihm nützlich sein könnte, um den Turm fertig zu bauen.
Konzentration und Aufmerksamkeit
Kann das Kind aufmerksam zuhören, wenn man mit ihm spricht? Kann es sich auf das konzentrieren, was es gerade tut? Ist es unruhig und ständig in Bewegung? Kann es eine Aktivität ohne mehrfaches Unterbrechen zu Ende bringen?
Alex (8 Jahre) ist sehr kreativ und denkt sich ständig Geschichten aus. Ganz in seine Gedankenwelt versunken, braucht er morgens sehr viel Zeit, um sich anzuziehen, die Zähne zu putzen und seine Schulsachen einzupacken. Er vergisst oft die Hausaufgaben in der Schule oder lässt die Hefte daheim. Alex hat daher grosse Schwierigkeiten, im Unterricht mitzukommen. Andererseits versteht und bemerkt er Dinge, die anderen Kindern vollkommen entgehen.